Warum bin ich nur so kaputt? Shutdowns bei maskierenden autistischen Erwachsenen – was dahintersteckt und was hilft
- juliadeck5
- 2. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 3. Juli
Es ist Abend. Der Tag war gut, vielleicht sogar erfolgreich – und doch fühlst du dich plötzlich leer, gereizt, wie erschlagen. Du willst nicht mehr reden, nicht denken, nicht mehr reagieren. Kopf und Körper sind bleischwer. Mir ging es Anfang dieser Woche so nach einem schönen Tag in der Natur, gefolgt von einer längeren Zugfahrt mit viel Umsteigen, vollen Zügen und in grosser Hitze. Danach kam ich nach Hause und fühlte mich wie krank, völlig umgehauen. Dazu wurde gleich die kritische innere Stimme laut: warum liegst du jetzt hier rum, du hattest doch einen wundervollen Tag, was hast du denn? Obwohl ich mich doch so gut mit dem Thema auskenne, brauchte ich wieder eine Weile um zu realisieren: das war ein Shutdown.
Dieses abrupte Umschalten von: sich in seiner Kraft fühlen, gut zu funktionieren zu plötzlicher völliger Erstarrung überrumpelt mich immer wieder. Vor allem weil der Begriff Shutdown so drastisch klingt und ich trotz der brutalen Erschöpfung die mich da überfällt immer weiss, ich könnte mich noch irgendwie wieder aufraffen wenn ich wirklich müsste - und als Mutter muss ich das eben doch immer wieder mal, nämlich wenn mich ein Shutdown erwischt und ich mit den Kindern alleine bin. Roboterhaft versorge ich sie dann noch mit dem Nötigsten, auch wenn mein ganzes System laut schreit nach RUHE. Und oft reicht eben schon eine Pause von ein bis zwei Stunden, damit ich es wieder bis zum Abend schaffe und am nächsten Tag bin ich einigermassen wieder hergestellt. Wahrscheinlich ist das das Grund warum ich den Begriff Shutdown so schlecht mit meinem eigenen Erleben vereint bekomme.
Ich finde es wichtig, einen Namen für Vorgänge oder Sachverhalte zu haben, sozusagen die Dinge beim Namen zu nennen. Das hilft bei der Einordnung, bei der Erarbeitung und Aktivierung von Strategien. Ich werde diese Momente nun für mich Mini-Shutdowns nennen. Oder vielleicht Power-Shutdown, so wie ein Power-Nap, eines meiner Zaubermittel gegen Überlastung. Denn Shutdowns sind nunmal eine Realität – eine häufige, aber wenig bekannte Reaktion bei autistischen Erwachsenen, vor allem jenen, die sich im Alltag stark anpassen (also maskieren). Viele kennen den Begriff „hochfunktional“ – ich finde ihn problematisch, denn er unterschätzt, wie viel Anpassungsarbeit dahintersteckt. Ein (Mini-) Shutdown zeigt schließlich: Dein System erreicht seine Grenzen – leise, gut versteckt, aber real.

Was ist ein (Mini-) Shutdown?
Ein Shutdown ist ein Rückzug des Nervensystems – anders als ein sichtbarer Meltdown. Gedanken und Sprache werden schwer, Reize sind kaum auszuhalten. Oft passiert das am Ende eines „normalen“ Tages, wenn die Maske fallen darf. Der Shutdown ist kein persönliches Versagen, sondern eine biologische Schutzreaktion.
Wie fühlt es sich an?
Erhöhte Reizempfindlichkeit: Licht, Geräusche, Kleidungsgefühl
Plötzlicher Wunsch nach Rückzug, oft wortlos, schwer ansprechbar
Kann sich in erhöhter Körperspannung äussern aber auch in völliger Muskelerschlaffung
Emotionale Taubheit oder diffuse Überforderung – nicht Traurigkeit, sondern Erschöpfung
Warum passiert das?
Autistische Gehirne sind auf Intensität getrimmt: Reize werden stärker ans System gemeldet und verarbeitet, soziale Anpassung in einem Umfeld das darauf nicht ausgerichtet ist kostet Energie, das Masking verstopft quasi Mentalsysteme. Dies baut sich über den Tag hinweg auf, was anfangs noch kompensiert werden kann wird irgendwann einfach zu viel. (Mini-) Shutdowns sind das Ende dieser stillen Überlastung.
Warum geht es manchmal besser und manchmal schlechter? Selbst wenn man sein eigenes Profil gut kennt, gute Selbstfürsorge betreibt, das Umfeld bereits auf die eigenen Bedürfnisse sensibilisiert und angepasst hat - es bleibt eine Illusion, Shutdowns "weg-managen" zu können. Unsere Systeme sind so sensibel und reagieren stark auf die Einflüsse von aussen und von innen. Folgende Faktoren können u.a. verstärkende Effekte haben:
Wichtige Verstärker:
Hormone: Periode, Perimenopause, Menopause erhöhen emotionale Instabilität, Konzentrationsprobleme und Reizempfindlichkeit
Wetter: Hitze, Wetterwechsel, Luftdruck wirken auf das Nervensystem
Ernährung & Allergien: Ungleichgewichte belasten den Körper
Masking durch Alkohol: Verstärkt Reizüberempfindlichkeit und beeinträchtigt Selbstregulation
Schlafmangel: Reduziert die Ressourcen, weniger Kapazität zur Kompensation
Allgemeine Überreizung: Hohe soziale Interaktion (z.B. Familie, Beruf etc.), viel Lärm (z.B. Baustelle, Reisen) – multipliziert die Belastung
Diese Liste ist nicht abschliessend und auch nicht universell, es gilt für sich persönlich herauszufinden, was gut funktioniert. Und nichts davon sind Zaubermittel, ich sehe es mehr wie einen Werkzeugkasten, aus dem man für die richtige Situation das Passende herausnimmt. Oder wie ein Spiel.
Was hilft dir selbst?
Frühwarnzeichen erkennen: Streitlust, Konzentrationsschwierigkeiten, inneres Flirren, Rückzugswunsch
Reizpausen, bevor es überkocht: Kurze Auszeiten, Kopfhörer, mini-Meditation zwischendurch
Umgebung entschärfen: Dimmbares Licht, angenehme Kleidung, Temperaturregler (Hitze ist ein starker Trigger!)
Struktur: Tagesstruktur an äussere Umstände anpassen (Siesta bei Hitze), flexible Ziele je nach Tagesform, Pufferraum, klarer Übergang in entspannte Zeit
Ernährung & Selbstfürsorge: Regelmässig und gesund essen, Getränke ohne Koffein/Alkohol, Allergene meiden
Selbstmitgefühl üben: Kein Vergleich mit anderen oder mit dir selbst in hochfunktionalen Phasen – du bist nicht „launisch“, sondern feinfühlig
Für dein Umfeld
Ein Mini-Shutdown wirkt still, aber ist ein echter Schutzmechanismus.
Keine Fragen wie „Was ist los?“ – das erzeugt Stress
Kein Körperkontakt, keine lauten Geräusche
Präsenz zeigen: „Ich bin da, wenn du etwas brauchst.“
Rückzug zulassen – ohne Bewertung oder Intervention
Verständnis zeigen: Diese Person hat viel mehr ausgehalten, als sichtbar ist
Oft hilft ein gesunder Snack, hier nicht lange fragen was gewünscht ist, sondern einfach etwas Bewährtes hinstellen. Oft hat die Person gar keinen Zugang mehr zu den eigenen Bedürfnissen. Wenn man die sogenannten "Safe Foods" der Betroffenen kennt, kann das Wunder wirken
Und nun, wie weiter?
Fazit: Ein (Mini-) Shutdown ist kein Zeichen von Schwäche – sondern Ausdruck eines belasteten Systems. Mit Selbstverständnis, Struktur und Rücksicht kann er abgemildert und besser integriert werden. Und ein verständnisvolles Umfeld kann eine echte Unterstützung sein.
Fühlst Du Dich auch immer mal wieder überfordert und erschöpft trotz scheinbar „normaler“ Tage? Möchtest Du lernen, Deine Grenzen besser zu erkennen und deinen Alltag so zu gestalten, dass Du mit Deinem System und nicht dagegen arbeitest?
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Weiterführende Quellen
Das Internet ist voll von Informationen zu diesen Themen, von persönlichen Schilderungen bis hin zu wissenschaftlichen Studien. Hier ist eine kleine Auswahl, wer gerne weiter lesen möchte.
Meltdown und Shutdown: Umfassende Erläuterung inkl. Strategien Zur Seite
Stress und Kommunikation im Autismus-Spektrum: Zusammenhang Wahrnehmung, Reizverarbeitung & Shutdown Zur Seite
Hormonelle Veränderungen: Studien zu Perimenopause, sensorischer Hypersensitivität & Masking-Entlastung Zur Seite
Einfache Erklärung inklusive Spoon Theory / Löffel-Metapher Zur Seite
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